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Solvency II

Mit 1. Januar 2016 ist eine grundlegende Reform des Versicherungsaufsichtsrechts mit der Einführung von Solvency II in Kraft getreten. Im Speziellen sind davon die Eigenmittelanforderungen (Solvabilitätsvorschriften) für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen betroffen. Das davor bestehende statische System zur Bestimmung der Eigenmittelanforderungen wurde dabei durch ein risikobasiertes System ersetzt. Qualitative Elemente, wie beispielsweise das interne Risikomanagement müssen dabei stärker berücksichtigt werden. Mit dem neuen Aufsichtsregime soll eine verstärkte Harmonisierung der Aufsicht in Europa erreicht werden.

Die Solvabilität II Richtlinie (2009/138/EG) umfasst mehrere sogenannte Long Term Guarantee (LTG) Maßnahmen, welche sich auf unterschiedliche Aspekte der Berechnung der Solvabilität auswirken. Einige dieser Maßnahmen sind von Unternehmen verpflichtend anzuwenden, andere können freiwillig, teilweise aber nur aufgrund einer Genehmigung durch die FMA angewendet werden. Die Solvabilität II Richtlinie erfordert einen jährlichen Review der LTG Maßnahmen (siehe insb. Art. 77f RRL).  Hierfür führt die FMA im Auftrag von EIOPA verschiedene Reviews durch, in denen die Auswirkung von Änderungen der einzelnen Maßnahmen getestet wird. Im Zuge dieser Überprüfung hat die EIOPA jährlich das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission über die Auswirkung der LTG -Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu unterrichten.

Der Versichertenschutz bleibt nach wie vor das Hauptziel der Versicherungsaufsicht unter Solvency II . Die Vorgaben fokussieren auf eine stärkere Risikoorientierung und bezwecken eine Intensivierung der Aufsichtskonvergenz, um Aufsichtsarbitrage zu verhindern. Der Absicht der sektorübergreifenden Konvergenz entsprechend, wurden die Instrumente der Finanzaufsicht insbesondere nach dem Vorbild der Reformen im Bankenbereich ausgestaltet. Darüber hinaus können als Ziele genannt werden:

  • Erweiterung des bisher weitgehend quantitativen Systems um qualitative Anforderungen: Da den Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen ein relativ großer Spielraum bei der Abbildung ihres Risikoprofils in der Solvenzkapitalanforderung (Säule 1) zukommt, soll im Gegenzug sichergestellt werden, dass die qualitativen Anforderungen an die Unternehmenssteuerung, das Governance-System, unternehmensinterne Abläufe etc. (Säule 2) intensiver aufsichtsbehördlich überprüft werden.
  •  Stärkung einer risikoorientierten Aufsicht: Die Aufmerksamkeit der Aufsicht soll sich auf die Bereiche mit dem größten Risikopotential konzentrieren; eingesetzte Aufsichtsmittel sollen dabei verhältnismäßig zur Gefährdung der Aufsichtsziele sein.
  •  Erhöhung der Transparenz und Rechenschaftspflicht: Durch die umfangreichen Offenlegungspflichten (Säule 3) wird die Vergleichbarkeit der Finanzlage, der Solvabilität und des Governance-Systems der einzelnen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen gefördert. Unternehmen, die vorbildliche Verfahren anwenden bzw. eine risikobewusste Unternehmenssteuerung aufweisen, sollen (so die Idee) dafür durch die Adressaten der Offenlegung (dh. etwa die Versicherungsnehmer, Versicherungsvermittler, Rating-Agenturen, Investoren und andere Marktteilnehmer) „belohnt“ werden.
  •  Effizientere Überwachung der Versicherungsgruppen: Durch die Erweiterung der Aufgaben der Aufsichtskollegien und die Stärkung der Rolle der Gruppenaufsichtsbehörde soll gewährleistet werden, dass gruppenweite Risiken nicht übersehen werden.
  •  Bindung des neuen Aufsichtsregimes an internationale Standards: Die aufsichtsrechtlichen Bewertungsstandards sollen weitest möglich mit den internationalen Entwicklungen auf dem Gebiet der Rechnungslegung (IAS /IFRS ) im Einklang stehen, um den bürokratischen Aufwand für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen in Grenzen zu halten. Außerdem wurden die von IAIS entwickelten Standards sowie die Entwicklungen im Bereich der Versicherungsmathematik berücksichtigt.

Ähnlich wie im bankaufsichtsrechtlichen Regelwerk „Basel II “ basiert auch Solvency II auf einem Drei-Säulen-Modell. Die quantitativen Solvenzvorschriften von Säule 1 werden durch umfangreiche qualitative Anforderungen, welche Säule 2 darstellen, und durch das Element der Marktdisziplin der Säule 3 ergänzt:

Das Bild zeigt die Aufteilung der Gruppenaufsicht in die 3 Säulen.

Säule 1: Quantitative Anforderungen

Die Solvenzkapitalanforderung wird entweder unter Verwendung einer vorgegebenen Standardformel oder durch ein vom Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen entwickeltes internes (Teil-)Modell berechnet. Die Mindestkapitalanforderung bildet eine Untergrenze, deren Unterschreiten eine ultimative Intervention seitens der Aufsicht auslösen würde.

Die erste Säule umfasst außerdem die Vorschriften zur Erstellung einer Solvenzbilanz, welche grundsätzlich auf Marktwerten basiert. Anrechenbare Eigenmittel ergeben sich auf Basis dieser Bilanz.

Säule 2: Qualitative Anforderungen

Die zweite Säule enthält qualitative Anforderungen, denn Solvency II soll alle für ein Unternehmen relevanten Risiken einbeziehen und nicht nur die quantifizierbaren Risiken mit Eigenmitteln unterlegen lassen. Unternehmen haben ein Governance System einzurichten. Dieses muss angemessene und transparente Organisationsstrukturen mit klarer Zuweisung und Trennung von Zuständigkeiten sowie ein wirksames System zur Informationsübermittlung aufweisen. Die folgenden Governance-Funktionen sind einzurichten:

• Risikomanagement-Funktion

• Compliance-Funktion

• Interne Revisions-Funktion sowie

• Versicherungsmathematische Funktion.

Leitlinien und Notfallpläne sind zu erstellen, Vorgaben zum internen Kontrollsystem und zum Thema Auslagerung müssen eingehalten werden.

Im Rahmen des Risikomanagements muss eine unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung durchgeführt werden. Hier ist unter anderem eine unternehmenseigene zukunftsbezogene Risikobeurteilung vorzunehmen.

Unter Solvency II sind Kapitalanlagen nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht zu verwalten – rechtliche Vorgaben quantitativer Begrenzungen sind entfallen.

Säule 2 umfasst auch Anforderungen an die Grundsätze und Methoden der Aufsicht. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem aufsichtsbehördlichen Überprüfungsverfahren gewidmet.

Säule 3: Marktdisziplin

Die dritte Säule von Solvency II beinhaltet Offenlegungs- und Berichtspflichten. Die von den Unternehmen an die FMA zu übermittelnden Solvency II -Meldungen sind sowohl hinsichtlich der Meldeinhalte als auch des Meldeformats weitgehend harmonisiert.

Die neuen umfangreichen Offenlegungspflichten sollen die Transparenz erhöhen, indem die Vergleichbarkeit von Informationen steigt, Informationsasymmetrien sinken und die Informationsmöglichkeiten für Interessierte verbessert werden. Der Markt wirkt in Folge als Korrektiv und die Einführung von „guten Praktiken“ wird gefördert.

Auch die FMA muss umfangreichen Offenlegungsverpflichten auf ihrer Homepage nachkommen und Mitteilungsplichten erfüllen.

Seit den 1990er Jahren wurde an der Verbesserung (Solvency I ) und der Neuausrichtung (Solvency II ) der EU -Solvabilitätsvorschriften gearbeitet.

In einem ersten Schritt wurden die notwendigsten Änderungen in den damals bestehenden Richtlinien vorgenommen (Solvency I ). In Österreich galten diese Regelungen ab 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2015.

Die Europäische Kommission hat in mehreren „Calls for Advice“ die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (EIOPA) ersucht, Vorschläge für die Weiterentwicklung der bestehenden Solvency II Regeln zu erarbeiten. Unter Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden hat EIOPA Arbeitsgruppen eingerichtet, um die in diesen Calls for Advice genannten Themen abzuarbeiten.

1. Die erste Welle des Solvency-II -Review

Auf Basis der ersten technischen Empfehlungen von EIOPA in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden im Rahmen der ersten Welle des Solvency II -Review veröffentlichte die Kommission am 18. Juni 2019 die Delegierte Verordnung (EU) 2019/981 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35. Die wesentlichen Änderungen zielten darauf ab, die Standardformel, mit der Unternehmen ihr SCR berechnen, zu vereinfachen. Unter anderem erfolgten Adaptierungen bei dem Nicht-Leben-Risiko, bei der verlustmindernden Wirkung latenter Steuern und bei der Eigenmittelunterlegung risikoärmerer Anleihen/Darlehen, für die kein Rating verfügbar ist. 

2. Die zweite Welle des Solvency-II -Review

Im Rahmen der zweiten Welle des Solvency II -Review hat die Europäische Kommission im Februar 2019 erneut EIOPA um eine weitere technische Analyse zu bestimmten Punkten der Solvency II -Richtlinie ersucht. Dabei soll EIOPA in ihre technische Analyse auch eine Folgenabschätzung aller relevanten qualitativen und quantitativen Auswirkungen sowohl für die einzelnen Vorschläge als auch für die Kombination aller Vorschläge aufnehmen (ganzheitliche Folgenabschätzung). Dafür ist es notwendig, dass die nationalen Aufsichtsbehörden zahlreiche quantitative Marktanalysen unter Mitwirkung der Versicherungswirtschaft durchführen.

Im Zuge des Solvency II -Review hatte die FMA mehrere Erhebungen und Marktstudien bei der österreichischen Versicherungswirtschaft durchgeführt.

EIOPA  legte der Kommission am 17. Dezember 2020 die Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks vor, ergänzt um Hintergrundanalysen und Auswirkungsstudien.

Im Mittelpunkt der Analysen stand auch die Verwendung der Maßnahmen betreffend langfristige Garantien (LTG -Maßnahmen). Diese Maßnahmen sollen den Übergang zu den neuen Eigenmittelvorschriften „glätten“ oder prozyklisches Verhalten in Krisensituationen abdämpfen. Es geht dabei zum einen

um individuell zum Einsatz kommende LTG -Maßnahmen:

  • Matching Adjustment der risikofreien Zinskurve (MA) (Artikel 77b, c RRL),
  • Volatility Adjustment der risikofreien Zinskurve (VA) (Artikel 77d RRL),
  • Durationsbasiertes Untermodul Aktienrisiko (Artikel 304 RRL),
  • Übergangsmaßnahme für vt Rückstellungen bzw. risikolose Zinskurve (Artikel 308c, d RRL)

und zum anderen um automatisch zur Anwendung gebrachten Maßnahmen:

  • Die Extrapolation der risikofreien Zinskurve (Artikel 77a RRL),
  • Symmetrische Anpassung für das Aktienrisiko (Artikel 106 RRL),
  • Ausdehnung der Frist für die Wiederherstellung der gesunden Finanzverhältnisse (Artikel 138 RRL).

3. Entwurf der Europäischen Kommission

Aufbauend auf die EIOPA Opinion hat die Europäische Kommission am 22. September 2021 ein Gesetzespaket veröffentlicht, das aus folgenden Elementen besteht:

  • Ein Legislativvorschlag zur Änderung der Solvabilität II -Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG);
  • Ein Legislativvorschlag für eine neue Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen.

Neben diesen Dokumenten enthält das von der Kommission veröffentlichte Paket auch eine grobe Folgenabschätzung und eine Studie über Versicherungsgarantiesysteme. Zu letzterem hat die Kommission entschieden, Maßnahmen zur Angleichung der Vorschriften für Versicherungsgarantiesysteme auch angesichts der durch die COVID-19-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Unsicherheiten zu verschieben.

Das Legislativpaket wird nun vom Europäischen Parlament und vom Rat erörtert, die den Legislativvorschlag annehmen, ablehnen oder ändern können. Die Änderungen der Solvency-II -Richtlinie werden durch eine Aktualisierung der delegierten Rechtsakte ergänzt (z.B. Extrapolation risikofreier Zinssätze, Zinsrisiko in der Standardformel, langfristige Aktieninvestments, Volatilitätsanpassung und Matching-Anpassung).

Die Europäische Kommission hat fünf Hauptprobleme identifiziert, die im Solvency-II -Regelwerk adaptiert werden sollen:

  • Anreize für langfristige Investitionen in Aktien und Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken;
  • Berücksichtigung des Niedrigzinsumfelds und möglicherweise unangemessen hohe Volatilität der Solvabilitätspositionen;
  • Verringerung der Komplexität für kleine und weniger riskante Versicherer;
  • Jüngste Ausfälle grenzüberschreitend tätiger Versicherer, die auf aufsichtsrechtliche Mängel und einen unterschiedlichen Schutz der Versicherungsnehmer in der EU nach diesen Ausfällen hindeuteten;
  • Instrumente zur Vermeidung systemischer Risiken

Die risikobasierte Versicherungsaufsicht („Solvency II “) wurde auf europäischer Ebene mehrere Jahre vorbereitet. Die Meilensteine werden in diesem Abschnitt überblicksweise dargestellt.

Hier finden Sie Informationen zu:

  • Solvency I
  • Die wesentlichen Elemente von Solvency II

Solvency I

Seit den 90er Jahren wurde von der damaligen Europäischen Aufsichtsbehördenkonferenz an der Verbesserung (Solvency I) und Neuausrichtung (Solvency II ) der 1973 für Nicht-Lebensversicherungen und 1979 für Lebensversicherungen eingeführten EU -Solvabilitätsvorschriften gearbeitet. Die 1994 installierte Solvency I Arbeitsgruppe der Europäischen Aufsichtsbehördenkonferenz unter der Leitung des damaligen Vize-Präsidenten des deutschen Bundesaufsichtsamtes für Versicherungswesen, Dr. Helmut Müller, veröffentlichte 1997 einen Schlussbericht, in dem festgehalten wurde, dass sich die europäischen Solvabilitätsrichtlinien im Kern bewährt hätten. Es zeigte sich jedoch auch, dass die damaligen Eigenmittelvorschriften nicht alle Risiken adäquat berücksichtigten. Daher wurde 1997 beschlossen, ein allumfassendes System zur Schaffung neuer Eigenmittelvorschriften zu konzipieren.

In einem ersten Schritt wurden die notwendigsten Änderungen in den bestehenden Richtlinien vorgenommen (Solvency I). In Österreich sind diese Regelungen mit 1. Jänner 2004 in Kraft getreten.

Solvabilitätsvorschriften unter Solvency I

Im österreichischen Versicherungsaufsichtsgesetz 1978 (VAG) wurden mit der VAG -Novelle 1986 erstmals Bestimmungen geschaffen, die den in den EU -Richtlinien vorgesehenen Eigenmittelbestimmungen weitgehend nachkommen. Die gesetzlichen Vorschriften wurden seither des Öfteren geändert, wobei die letzte wesentliche Änderung durch die VAG -Novelle 2003 erfolgte, mit der die Richtlinien zur Bestimmung der Solvabilitätsspanne umgesetzt wurden (Solvency I). Die Novelle trat am 1. Jänner 2004 in Kraft. Im Vergleich zu den erwarteten Änderungen im Rahmen von Solvency II wurden lediglich geringe Adaptierungen vorgenommen.

Die wesentlichen Elemente von Solvency II

  • Risikobasierte Unternehmenssteuerung und risikobasierte Eigenmittelberechnung
  • Harmonisierung und Konvergenz in Europa
  • Basel II Kompatibilität (sofern sinnvoll, sind gewisse Techniken auch für Versicherungen anzuwenden)
  • Wandel von einem regelbasierten System zu einem prinzipienbasierten System (z.B. Wegfall von starren Regeln, dafür flexiblere Eingriffsmöglichkeiten und mehr qualitative Anforderungen)
  • Kompatibilität mit internationalen Rechnungslegungsstandards
  • Drei Säulen Ansatz:
    – Säule I – Kapitalanforderung
    – Säule II – Governance-Vorschriften
    – Säule III – Veröffentlichungs- und Meldevorschriften

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